Geschichte, Gesundheit
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Kefir, wiederentdeckt!

Kefir, auch in der Rohmilchvariante, ist auf dem Vormarsch. Die Fermentierung als Maßnahme zur ‘Aufbereitung’ von Lebensmitteln wird neu bewertet: Weißkohl wird zu Sauerkraut, schwarzer Tee mit Zucker zu Kombucha und Milch zu Kefir. Rohmilchkefir von der Raw Milk Company ist inzwischen in den Niederlanden und Flandern überall erhältlich. Der Grund, warum sich Menschen für Kefir entscheiden, liegt vor allem in den gesundheitlichen Problemen, die durch regelmäßigen (täglichen) Verzehr reduziert werden können. Die Lebensqualität verbessert sich.

Kefir ist ein relativ unbekanntes Produkt, und wenn es um Sauermilch geht, bestimmen eher Joghurt, Hüttenkäse oder Buttermilch den Markt, gesäuerte Milchsorten ohne Hefen und Schimmelpilze. Kefir hat im Gegensatz zu Joghurt oder Buttermilch etwas Scharfes; es gibt eine Kohlensäurebildung durch die Hefen, die bei Joghurt nicht vorhanden ist.

Kefir Ende 19e Jahrhundert

Kefir wurde auf verschiedene Weise geschrieben: Kephyr, Kefyr oder Kaphyr und war als schaumiges, fermentiertes Milchgetränk bekannt, das aus den Bergen des Kaukasus stammte. Andere Quellen erwähnen eher die Nomaden, die mit ihren Herden (Kühe, Yak, Pferde) die kaukasischen Steppen abgrasten. Eckervogt schrieb 1890: „Auf dem Elbrus und Kazbek im Kaukasusgebirge ist es seit alters her Brauch, aus Kuhmilch ein leichtes alkoholisches Getränk zu bereiten, indem man eine blumenkohlartige Pflanze hineinwirft“. Die Wurzel von Kefir = ‚Keph‘, was so viel bedeutet wie ‚Wonnetrunk‘ auf Deutsch, auf Niederländisch: Getränk der Glückseligkeit. Der Name ‚Keph‘ soll von den russischen Tataren stammen, und von der Krim bis China lebten diese Nomaden in den Steppen. Andere bezeichnen Kefir (aus Stutenmilch) als ‘schäumenden Milchwein’. Kefir wird oft in einem Atemzug mit Kumys genannt, der aus Stutenmilch hergestellt wird. Kefir wird aus der Milch von Wiederkäuern (Kuh, Schaf, Ziege) hergestellt. Stutenmilch enthält mehr als 6,5 % Laktose, Kuhmilch dagegen nur etwa 4,5 %. Nach der Fermentierung kann sich in Stutenmilch (Kumys) mehr Milchsäure bilden und ist daher saurer im Geschmack als nach der Säuerung von Kuhmilch (Kefir). Beide Produkte beruhen auf der Fermentation durch Bakterien und Pilze/Hefen.

Kefir in Kurorte

Kefir wurde bereits im späten 19. Jahrhundert von russischen Migranten (Flüchtlingen) nach Europa gebracht. Der jüdische Russe Axelrod lieferte Kefir an das Züricher Kantonspital (Abbildung 2). Er hatte das Wissen aus seiner Heimat mitgebracht und war in der Lage, verschiedene Kefirstärken mit guter Präzision zuzubereiten (siehe unten), jeweils für eine bestimmte Zielgruppe von Patienten. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland gab es Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts erste Berichte über Kefirkuren, in Deutschland im Jahr 1882 (Abbildung 1). In Russland gab es schon früher Kefirkuren, und auch in den Lazaretten wurde Kefir zur Genesung von Soldaten eingesetzt. Eine Kur begann mit etwa 1/2 Liter Kefir pro Tag und konnte auf 3-4 Liter/Tag gesteigert werden. Eine Kur konnte ruhig 3 Monate dauern.

Hinsichtlich der Wirkung unterschieden die Kefirkurorte nach dem Grad der Gärung. Eintägigem mildem Kefir (Dschuurt) wurde eine entschlackende Wirkung nachgesagt, Probleme mit dem Stuhlgang (Verstopfung) wurden mit dreitägig fermentiertem Kefir (Airan) gelöst. Außerdem wurde Kefir schon damals gegen Blutarmut eingesetzt; er regte die Lust am Essen an und die Menschen bekamen wieder Farbe. Interessanterweise wird Kefir auch im Zusammenhang mit der Genesung von Tuberkulose (Lungentuberkulose) erwähnt. So wie die Europäer bei Asthma oder Tuberkulose in die Schweizer Berge geschickt wurden, gingen die Russen in den Kaukasus. Ob es die Bergluft oder der Kefir war, der eine heilende Wirkung hatte, ist nicht bekannt. Bekannt ist jedoch, dass Tuberkulose bei den Schweizer Bergbauern nicht vorkam und bei den Bauern im Kaukasus auch nicht. Beide Gruppen lebten weiter oben in den Bergen. Schon früher (im 16.e Jahrhundert) ist die Rede davon, dass Molke (aus Käse, Quark oder Kater) gegen TBC eingesetzt wurde.

Afb. 1. Milch- und Kefir-Kuranstalt in Hochbarmen (ca 1890)

Abb. 2: Schweizer Kefir im frühen 20. Jahrhundert.

Was funktioniert?

Anno 2024 verstehen wir immer besser, wie Kefir funktioniert. Bestimmte Bakterien in Kefir sind probiotisch aktiv. Das gilt auch für verschiedene Pilze und Hefen. Kefir enthält eine sehr hohe Anzahl von milchsäurebildenden Bakterien, von denen einige lebend in den Darm gelangen. Gemeinsam produzieren die Mikroorganismen eine ganze Reihe bioaktiver Peptide, indem sie das Milcheiweiß und insbesondere das Beta-Kasein in kleine Stücke zerlegen. Die Wirkung dieser größeren und kleineren Peptide wird mit der Regulierung/Senkung des Blutdrucks, der Kontrolle des Blutzuckers, der Knochenbildung oder der Immunfunktion in Verbindung gebracht. In einigen Studien wurde ein Unterschied zwischen Kefir aus Rohmilch und aus erhitzter Milch festgestellt. Wie bei der Erforschung von Milch wurde deutlich, dass die Molkefraktion in der Rohmilch für die immununterstützenden Eigenschaften der Rohmilch wichtig ist. Gilt das auch für Rohmilchkefir?

Klinisch fällt auf, dass Patienten, die Kefir verwenden, eine gesündere Haut bekommen, frei von Schorf oder Ekzemen, dass ihr täglicher Stuhlgang leichter, regelmäßiger und von besserer Konsistenz wird. Alte (Ende des 19.e Jahrhunderts) und neue Erfahrungen (Anfang des 21.e Jahrhunderts) in Bezug auf die gesundheitlichen Wirkungen von Kefir überschneiden sich zum Teil, zum Teil werden sie jetzt in der Human- und Tierforschung bestätigt.

Foto: Vor (oben) und nach (unten) dem regelmäßigen Verzehr von Rohmilchkefir

Literatur

  • Düggeli, M. (1938). Die Mikroflora der Sauermilcharten und deren Verwendung. Pathobiology, 1(1-6), 273-312.
  • Eckervogt, R. (1890). Kefir, seine Darstellung aus Kuhmilch. Heuser’s Verlag, Berlin. 21 pp.
  • Spiekerman U. (2018). Der Revolutionär als Unternehmer – Pavel Axelrods Schweizerische Kephiranstalt.
  • Wehsarg, R. (1928). Moderne Milchtherapie bei Verdauungsstörungen und Tuberkulose. Verlag der Aerztlichen Rundschau Otto Gmelin.

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