Fermentierte Milchprodukte, Milch, Qualität
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Natürliche Starterkulturen enthalten wenig Arten, …

… aber sind reich an verschiedenen genetischen Stämmen. Untersuchungen zu einer Starterkultur für Gouda-Käse, die durch tägliches Weiterimpfen erhalten wurde, zeigen, dass nur zwei Bakterienarten vorhanden sind, nämlich Lactococcus lactis und Leuconostoc mesenteroides (Erkus et al., 2013). Dies widerspricht Ihrem Gefühl von Stabilität und Robustheit eines Käse-Ökosystems. Der entscheidende Faktor ist die Vielfalt der Bakterienstämme, insbesondere der genetischen Linien innerhalb der L. lactis. Obwohl es also den Anschein hat, als gäbe es keine Vielfalt, sorgen die sieben gefundenen Stämme zusammen mit den vielen Viren für das Überleben der ‚wilden Starter‘. Solche Säurekulturen werden durch ‚Backslopping’“‘ hergestellt: Man impft einen Rest der gesäuerten Milch in eine neue Charge Milch, die pasteurisiert oder gekocht sein kann. Eine andere Methode des Backsloppings ist die Verwendung von Käse-Molke, die während des Käseherstellungsprozesses zurückgehalten wird. Molke als Starterkultur (engl. ‚whey-starter‘) wird noch in Schweizer Käsereien verwendet. Wichtige europäische Käsesorten werden mit ‚Backslopping‘ hergestellt (Neviani et al., 2024). Backslopping wird traditionell als Möglichkeit angesehen, Säurekulturen zu erhalten, die ‚robust‘ sind. Aber worauf basiert diese Erfahrungswissen?

Der Prüfer schneidet einen Parmesankäse, der mit einer Molke-Starterkultur hergestellt wurde (Slowfood-Käseveranstaltung, Bra, Italien)

Die regulierende Rolle von Bakteriophagen (= Viren)

Vor Bakteriophagen wird immer gewarnt. Als Käsehersteller muss man für eine aktive Starter sorgen, die den Milchzucker schnell in Milchsäure umwandelt. Man verwendet zugekaufte Säurekulturen abwechselnd, um zu verhindern, dass die Phagen zuschlagen. Eine Kontamination der Starterkultur mit Phagen tötet die Milchsäurebakterien, was zu Problemen bei der Käseherstellung führt. Dies trifft zu, wenn die gekaufte Starterkultur aus nur wenigen Stämmen besteht, und die Bakterien absterben. 
Dennoch wimmelt es in der wilden Säure von Phagen, die jedoch zusammen mit den vielen Bakterienstämmen ein einzigartiges und dynamisch stabiles Ökosystem bilden können. Dies basiert auf zwei Prinzipien: (a) Die Stämme können sich funktional ersetzen, sodass bei Ausfall eines Stammes der nächste bereitsteht, um seine Aufgabe zu übernehmen; (b) Phagen nutzen das ‘Kill-the-Winner’-Prinzip, bei dem sie einen Bakterienstamm eliminieren, der zu erfolgreich und damit dominant zu werden droht. Durch die funktionale Austauschbarkeit der Stämme bleibt der Starterkultur als Ganzes wirksam. Somerville et al. (2024) haben dafür auch einen Namen, nämlich ‘Stammredundanz’ oder ‘funktionale Austauschbarkeit genetischer Stämme’. Andere Stämme im Starternetzwerk übernehmen die Aufgaben und organisieren die Umwandlungen, ohne dass es zu Funktionsverlusten kommt. Daher passt eigentlich der Begriff ‘Netzwerkredundanz’ besser, der darauf hinweist, dass das Netzwerk, das Ökosystem, eine dynamische Stabilität gewährleistet. Auch das Wort ‘Resilienz’, also Robustheit oder Widerstandsfähigkeit auf der Grundlage eines dynamischen Gleichgewichts, passt hier. Das ist das Schöne an einer eigenen, wilden Starterkultur.
Es gab jedoch einige Voraussetzungen, um eine solche Hofkultur über Monate hinweg verwenden zu können. Wichtig war, dass die Bäuerin (die meistens diese Arbeit machte) konstant, rhythmisch und hygienisch arbeitete. Die Milch für die Starterkultur wurde oft kurz gekocht, um zahlreiche unerwünschte Bakterien in der Rohmilch abzutöten, man arbeitete mit einem festen Prozentsatz der Säurekultur vom Vortag und lagerte die angesäuerte Milch bei konstanter Temperatur, beispielsweise in einem Säurekasten. David Asher, der das ‘natürliche Käseherstellen’ vorsteht, arbeitet mit Rohmilch. Die wichtigste Voraussetzung, die er für den eigenen, wilden Starter stellt, ist die tägliche Nutzung der kuhwarmen Rohmilch, der man einen Teil des Sauermilchstarters hinzufügt, um neuen Starter für den nächsten Tag herzustellen.

Zwischenform von natürlichem und industriellem Starter 

Da es nicht jedem Landwirt gelang, täglich auf konstante Weise seine eigene Starterkultur herzustellen, entstanden industrielle Starter. Hier werden ausgewählte Bakterienarten (/Stämmen) gemischt und oft als gefriergetrocknete Starter verwendet. In der Schweiz gibt es noch immer eine Zwischenform zwischen betriebseigenem und industriell hergestelltem Starter, abgestimmt auf die kleinstrukturierten regionalen Käsereien. Starterkulturen für diese Dorfs Käsereien werden zentral unter sehr strengen, konstanten und hygienischen Bedingungen hergestellt. Bei der Herstellung, bei der sterile Magermilchpulver verwendet wird, wird nichts dem Zufall überlassen. In der Schweiz werden dazu nur Bakterienstämmen verwendet, die in der Schweiz gefunden sind und nur in der Schweiz vermehrt werden. Man verfügt also über eine eigene Schweizer Genbank für Starterkulturen. Dies geschieht durch Agroscope (in Bern-Liebefeld), wo Käse-Kulturen immer wieder frisch gezüchtet und an die lokalen Käsereien verschickt werden. Für jeden Käse-Art eine andere Zusammensetzung. In der Regel haben die Käsereien ein wöchentliches Abonnement und erhalten dann eine frische, lebende Starterkultur, die sie eine Woche lang täglich selbst weiter ansetzen. Dies erhöht die Stabilität des Endprodukts, sorgt für weniger Ausschuss und weniger Käsefehler. Ein bisschen von einem selbst und ein bisschen von den professionellen Kulturherstellern.

Frisch hergestellte Starter wird für den Transport in sterile Gläser abgefüllt (Agroscope, Bern-Liebefeld)

Misleid door uitslag?

Es gibt mehrere Studien, die zeigen, dass eine verwendete Starterkultur arm an Bakterienarten ist. In der Schweiz wurde in der Sennerei Bachtel (bei Zürich) von Mikrobiologen aus Zürich festgestellt, dass die Säurekultur für den Rohmilchquark nur aus einer einzigen Art bestand, nämlich L. lactis. Auch im Backslopping-Verfahren für Kefir aus SCOBY bei der Raw Milk Company (die Niederlande) wurde deutlich, dass wir auch hier mit einer einzigen Bakterienart zu tun haben, nämlich ebenfalls L. lactis (Baars et al., 2023). Dieses Ergebnis kann also irreführend sein, wenn man nicht tiefer unterhalb der Artenebene, also nach den Stämmen (engl.: strains) oder Linien (engl.: lineages) und ihrer genetischen Bedeutung, forscht. Auf der Stämme Ebene gibt es eine viel größere funktionelle Vielfalt als auf der Artenebene. Außerdem wissen wir (noch) nicht viel über die Phagen, die zu diesem System gehören, da kaum Forschung betrieben wird.
Offenbar ist ein Starter bereits vollständig, wenn sich zwei Arten ergänzen und sich gegenseitig den Ball zuspielen. Die oben erwähnte Säure für den Gouda-Käse enthält also nur zwei mesophile Bakterienarten. Auch in der Studie von Somerville et al. (2024) geht es um Schweizer Käse, für den eine thermophile Starterkultur verwendet wird. Auch hier ist die Mischung artenarm, aber reich an Stämmen von Streptococcus thermophilus. Hinzu kommen die Bakteriophagen, die wie Dirigenten die Bakterienstämme an- und abschalten.

Fazit

Es besteht also ein Unterschied in der Verwendung von Käse-Starterkulturen zwischen der traditionellen Käseherstellung und der modernen Produktion von Gouda-Käse. Modern bedeutet, dass man von einer täglichen Zufuhr von Bakterien von außen durch professionelle Firmen abhängig ist. Traditionell basiert man auf einer Vielzahl von Stämmen von 1 oder 2 Arten von Milchsäurebakterien, die jedoch eine große genetische Bandbreite aufweisen und an der Käserei angepasst sind. Damit können Rohmilchprodukte eine eigene Note in Geschmack, Reifung und Konsistenz bekommen, die über die Verwendung der Rohmilch selbst hinausgeht. Um dies täglich zu erreichen, braucht es nicht nur Mut, sondern auch Regelmäßigkeit, Wissen und konsequente Hygiene. Bakteriophagen erledigen den Rest.

Literatur

  • Baars, T., van Esch, B., van Ooijen, L., Zhang, Z., Dekker, P., Boeren, S., … & Kort, R. (2023). Raw milk kefir: microbiota, bioactive peptides, and immune modulation. Food & Function, 14(3), 1648-1661.
  • Erkus, O., De Jager, V. C., Spus, M., van Alen-Boerrigter, I. J., Van Rijswijck, I. M., Hazelwood, L., … & Smid, E. J. (2013). Multifactorial diversity sustains microbial community stability. The ISME journal, 7(11), 2126-2136.
  • Neviani, E., Levante, A., & Gatti, M. (2024). The Microbial Community of Natural Whey Starter: Why Is It a Driver for the Production of the Most Famous Italian Long-Ripened Cheeses?. Fermentation, 10(4), 186.
  • Somerville, V., Thierer, N., Schmidt, R. S., Roetschi, A., Braillard, L., Haueter, M., … & Engel, P. (2024). Genomic and phenotypic imprints of microbial domestication on cheese starter cultures. Nature communications, 15(1), 8642.

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