Milch, Qualität
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Horn, Milch und Wärme

Das Kuhhorn ist als Organ anzusehen, unter anderem ist die Hornbildung eine erweiterte Möglichkeit, die Körperwärme zu regulieren (Baars, 2016). Kühe mit großen, hochstehenden Hörnern, wie die Watussi-Ankole Rinder oder die Ungarischen Steppenrinder entstanden durch Zuchtauswahl unter heißen und trockenen Bedingungen. Diese Tiere bilden sehr große Hörner mit einer dünnwandigen Keratinschicht, der Hornhülle: So geben die intensiv durchbluteten Hörner leicht Wärme ab, ohne knappes Wasser zu verdunsten. Hält man solche Tiere in eher arktischen, kalten Bedingungen, dann erkälten diese Tiere sich über ihre Hörner. Hörner sind Organe, die wie andere Extremitäten nicht erfrieren dürfen, sonst sterben sie ab (Picard et al., 1994). Das erklärt die Tendenz unter den horntragenden Rindern, bei kühlen Verhältnissen eher kleine, dicht am Kopf wachsende Hörner zu bilden, abgeschlossen mit einer dicken Keratinschicht. So verlieren diese Tiere relativ wenig Wärme (Hoefs, 2000). Wenn es klimatisch zu extrem kalt wird, ist selbst Hornlosigkeit ein Zuchtweg, wie beim Fjäll-Rind im Norden Schwedens. Dort wäre die genetische Hornlosigkeit angesichts der niedrigen Umgebungstemperaturen passend.

In der biologisch-dynamischen Landwirtschaft hat die Präsenz der Hörner einen hohen Wert. Dies hängt mit der zentralen Rolle der Kuh im landwirtschaftlichen Organismus, mit der Qualität ihres Dungs und mit der Herstellung der beiden Präparate Hornmist und Hornkiesel zusammen. In seinem landwirtschaftlichen Kurs, der Grundlage der Biodynamischen Wirtschaftsweise (GA 327), erwähnt Rudolf Steiner einen Zusammenhang zwischen Hörnern und Verdauung. Um diese Aussagen zu überprüfen, verfasste Jenifer Wohlers 2011 eine Doktorarbeit. Um ihre Ergebnisse zu bestätigen, wurden zwei neue Untersuchungen durchgeführt. Über eine wird hier berichtet.

Diese Untersuchung geht den Aussagen Steiners nach und untersucht dazu die Milchqualität enthornter bzw. horntragender Milchkühe. Die Hypothese ist, dass die Anwesenheit der Hörner sich im Stoffwechsel sowie in der Milch der Tiere widerspiegelt. Blut und Milch sind eng mit einander verbunden, daher wurde Milch als Ausgangspunkt für diese Forschung gewählt. In Milch können heutzutage hunderte Inhaltstoffe in einem Messdurchgang gefunden werden. Das geht mittels der sogenannten „–omics-Forschung“, die sich über die Analyse von Stoffwechselzwischenprodukten u.a. mit der Komplexität der Milch beschäftigt: Metabolomics, Proteomics und Lipodomics. Sie beschreibt eine Art „stoffbezogene Feinstofflichkeit“ der Milch. Die Muster dieser stofflichen Differenzierung ergeben so etwas wie einen Fingerabdruck des tierischen Stoffwechsels. Vorteil dieser Analysen ist der Anschluss an die klassische Forschung, so dass Ergebnisse diskutiert werden können, die der Tierphysiologie entsprechen.

Methode

Milchproben wurden von Kühen mit und ohne Hörner des Demeter-Betriebes Juchowo in Silnowo (Polen) genommen. Dazu wurden aus der 300-köpfigen Herde jeweils Kuhpaare der gleichen Rasse (Holstein oder Brown Swiss: HF, BS), des gleichen Alters, der gleichen Laktationstage, gleicher Milchleistung und Zellzahl ausgewählt. Die hornlosen Kühe waren als Kalb enthornt und als Jungtier zugekauft worden; alle horntragenden Kühe waren auf dem Hof geboren worden. Eine Schwachstelle der Untersuchung war die fehlende Möglichkeit, die individuelle Futteraufnahme jeder Kuh festzustellen. Raufutter wurde ad Libitum gefüttert, vor allem mit Heu. Die gepaarten Kühe wurden dreimal im Winter beprobt, insgesamt 2×28 Kuhpaare. In unterschiedlichen Laboren wurden die Fettsäure (FS) des Milchfettes und die Eiweiße und die Metaboliten im Milchserum gemessen. In einem statistischen Verfahren (mixed model) wurden verschiedene Faktoren getestet.

Ergebnisse

Die Probenahme der Milch im Winter erwies sich als entscheidend für die Interpretation der Ergebnisse. Kühe haben eine Komfortzone zwischen -5 und +20oC. An den Probenahmetagen war es jeweils kalt (-6.5 bis 2.0oC) und die Temperaturen waren an der unteren Grenze dessen, was Kühe „angenehm“ finden. Unterschiede gab es in der metabolomischen Milch-Zusammensetzung (Tabelle 1) und im Fettsäureprofil (Tabelle 2), nicht aber in der Proteinzusammensetzung. Zunächst wurde beurteilt, welche Stoffe sich in den beiden Gruppen signifikant unterscheiden. Im zweiten Schritt wurde versucht, anhand bestehender Erkenntnisse, die durch Enthornung bedingten Stoffwechselunterschiede zu erklären. Die Analyse beschreibt nicht den vollständigen Stoffwechsel der Tier sondern man versucht, anhand der Verschiebung von Bruchstücken der Stoffwechselzyklus, die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen Tiere zu erklären.

Tabelle 1 zeigt bei horntragenden Kühen erhöhte Aminosäurewerte, vor allem glykogene Aminosäuren, die im Energiehaushalt des Tieres eine Rolle spielen. Der erhöhte Kreatinin-Wert weist auf einen erhöhten Stoffwechsel der horntragenden Kühen hin. Umgekehrt sind bei den enthornten Kühen das γ-Glutamylcystein und verschiedene Produkte des Zuckerstoffwechsels erhöht (N-acetyl UDP-Galaktose, UDP-Hexose). Beide Zuckermetaboliten gehören zum Stoffwechsel der Laktose (Milchzucker). Letztendlich findet sich in der Milch horntragender Kühe vermehrt Glyoxilsäure, Bestandteil des Fettsäurestoffwechsels auf dem Schritt zum Abbau zur Glukose. Die erhöhten Harnstoffwerte der Milch horntragender Kühe kann ein Hinweis sein, auf ein niedrigen Glukosesynthese, vor allem in HF-Kühen. Nicht alle Werte sind für beide Kuhrassen, gleich signifikant, es gibt geringe Unterschiede zwischen die HF- und BS-Rasse.

Tabelle 1: Unterschiede bei Stoffwechselmetaboliten: Mittelwert der signifikanten Metaboliten im Milchserum aller horntragender und enthornter Kühe (log2-transformiert) und Signifikanz aller Tiere sowie nur innerhalb der jeweiligen Rasse Holstein Frisian (HF) oder Brown-Swiss (BS).

Horn Enthornt Alle HF BS
Cystin 13,67 12,97 *** n.s n.s
Glycin 18,33 17,80 ** n.s. n.s
Kynurenin 14,01 13,48 * n.s. n.s.
Prolin 21,32 21,10 ** n.s. n.s.
N-acetyl UDP-Galaktose 15,65 15,87 *** n.s. n.s.
γ-Glutamylcystein 10,89 11,45 * n.s. n.s.
Kreatinin 21,98 21,65 ~ n.s. *
Glyoxylsäure 20,05 19,92 * n.s. *
α-Ketoglutarsäure 16,94 16,86 n.s. * *
UDP-Hexose 17,90 18,28 n.s. ** n.s.
Harnstoff 18,26 18,76 ~ ** n.s.

*** P<0.001; ** P<0.01; * P<0.05; ~ P<0.10; n.s. = nicht-signifikant

Darüber hinaus gibt es auch typische Verschiebungen im Fettsäuremuster (Tabelle 2). Die ungeraden, kurzkettigen, gesättigten Fettsäuren (C7:0, C9:0, C11:0, C13:0) sind erhöht bei enthornten Tieren. Umgekehrt sind die iso-Fettsäuren und einige omega-3 (n3) –Fettsäuren erhöht bei horntragenden Tieren, bei diesen ist auch eine n7-Fettsäure erhöht, C18:1c11. Deren Herkunft ist wahrscheinlich das Körperfett der Tiere. Bei Fadenwürmern zeigt sich auch ein Anstieg von C18:1c11, wenn sie unter kalten Bedingungen leben. Zwei erhöhten Gehalte an iso-Fettsäuren bei horntragenden Kühen weisen auf eine etwas veränderte Pansenverdauung hin. Es sind vor allem die Pansenmikroben, welche die Verhältnisse der iso-Fettsäuren in der Milch bestimmen. Im Euter werden Fettsäuren bis zum C14:0 völlig neu aufgebaut, ab C18:0 stammen sie direkt aus dem Futter. Die Ausgangsprodukte für ihren Aufbau sind Acetat (C2), Propionat (C3) und Butyrat (C4). Gesättigte Fettsäuren werden gebildet durch eine schrittweise C2-Verlängerung, wobei „Familien“ mit einer geraden Zahl C-Atome entstehen (C4:0, C6:0, C8:0, C10:0, C12:0, C14:0 und beschränkt C16:0) oder einer ungeraden Zahl. Beim Milchfettaufbau ist der Weg über die C2- und C4-Fettsäuren dominant in Vergleich zum Aufbau über C3.

Tabelle 2. Unterschiedliche Fettsäuremuster: Mittelwert der signifikanten Fettsäuren im Milchfett aller horntragender bzw. enthornter Kühe und Signifikanz aller Tiere sowie innerhalb den Erstkalbinnen (<2 Jahre) sowie älterer Kühe (>3 Jahre).

Horn Enthornt Alle <2 >3
C7:0 0,050 0,057 * n.s. n.s.
C9:0 0,031 0,037 ** n.s. n.s.
C11:0 0,060 0,072 ** n.s. n.s.
C13:0 0,107 0,117 * ** n.s.
C15 iso 0,313 0,291 n.s. n.s. **
C17 iso 0,327 0,307 * n.s. n.s.
C18:1c11 (n7) 0,321 0,283 * n.s. n.s.
C16:4 (n1) 0,279 0,259 * n.s. n.s.
α-C18:3c9c12c15 (n3) 0,741 0,671 n.s. n.s. *
C18:4c6c9c12c15 (n3) 0,018 0,015 * n.s. n.s.

*** P<0.001; ** P<0.01; * P<0.05; ~ P<0.10; n.s. = nicht-signifikant

Letztlich erklärt sich die Verschiebung der Metaboliten und Fettsäuren wie eine Stoffwechselkonkurrenz um die C3-Produkte. Diese werden im Körper verwendet für die Bildung der ungeraden Fettsäuren oder für die Glukosebildung (zwei C3 bilden eine C6). In einer kalten Umgebung kämpfen die Kühe damit, einerseits Wärme zu produzieren, um die Kerntemperatur des Körpers zu erhalten und andererseits Milch zu produzieren. Beide Prozesse brauchen dazu die C3-Produkte. Die Energie dafür kommt aus dem Futter oder aus dem eigenen Fettpolster. Glukose und kurzkettige Fettsäuren sind sehr geeignet für die Wärmeproduktion. Horntragende Kühe zeigen, dass sie für die Wärmeproduktion mehr Energie unter kalten Bedingungen einsetzen. Die ungeraden Fettsäuren in der Milch werden heruntergestuft, und etwas mehr Körperfett wird abgebaut. Die glykogenen Aminosäuren sind erhöht, ein Indiz dafür, dass die horntragenden Kühe auch den Abbau von Aminosäuren für ihre Wärmebildung nutzen. Die horntragenden Tiere zeigen insgesamt einen erhöhten Stoffwechselmodus. Die erhöhten Werte an ungesättigten Fettsäuren in der Milch horntragender Kühe (C18:1c11, C16n4, C18:3n3 und C20:4n3) könnten damit zu tun haben, dass die Tiere diese Fettsäuren nutzen, um die Verfestigung der Zellmembranen zu reduzieren; denn je kälter es ist, desto mehr ungesättigtes Fett ist dafür erforderlich.

Im statistischen Model wurden verlässliche Merkmale gesucht, um zu verstehen, anhand welcher Stoffe die Unterschiede der beiden Gruppen am deutlichsten darstellbar sind. Es zeigte sich, dass die gesättigten, ungeraden Fettsäuren (C7:0 – C11:0), C18:1c11, und die glykogenen Aminosäuren Cystin, Glycin und Kynurenin als Metaboliten am besten die Unterschiede zwischen den beiden Tiergruppen unter kalten Bedingungen markieren.

Fazit

Die Analyse von Stoffwechselprodukten in der Milch klärt Zusammenhänge in der Tierphysiologie. Die Frage der Hörner scheint eher eine Bedeutung für das Tier selbst zu haben, vor allem für seinen Wärmehaushalt. Damit ist es wichtig, auf umweltangepasste Hörner zu züchten und nicht unbedingt nur auf deren Größe zu schauen. Hörner kann man verstehen als lebende Organe, welche die Physiologie der Tiere und vor allem seine Wärmesteuerung beeinflussen.

Die Ergebnisse über Horn und Wärmeregulierung wurden in Januar 2019 veröffentlicht in Journal of Dairy Science (Baars et al., 2019).

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