Fermentierte Milchprodukte, Milch
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Symbiozäner kefir

Take home message

  • Kefir aus Knollen ist ein faszinierendes Ökosystem aus Biofilm, Bakterien und Hefen. So wie Korallen hält er sich recht stabil; er wächst und lebt.
  • Die Basis aller Kefirkörner ist scheinbar sehr ähnlich, aber von Kefir zu Kefir, von Kontinent zu Kontinent sind die Arten, die nur in geringen Mengen in den Körnern vorkommen, unterschiedlich.
  • Es sind verschiedene Typen, aber wahrscheinlich mit der gleichen Funktionalität.

Das Symbiozän denken

Wir leben im Anthropozän, dem von Menschen dominierten technologischen Zeitalter. Es braucht ein neues Denken, eine neue Philosophie, um das Anthropozän hinter uns zu lassen. Der australische Umweltphilosoph Glenn Albrecht suchte nach neuen Konzepten, um unsere mit dem Erleben der Natur verbundenen Gefühle auszudrücken. Leider sind viele dieser Gefühle auf die Zerstörung der Natur und der Umwelt durch den Menschen, die Verstädterung und die künstliche Lebens- und Ernährungsweise zurückzuführen.

Die Antwort auf das Anthropozän sollte das Symbiozän sein. Dieses Post-Anthropozän soll uns vor zukünftigen Umweltschäden, Müllbergen, schwimmendem Plastik oder nicht abbaubaren Stoffen (PFAS, DDT) schützen. Der Weg zum Symbiozän geht über das Nachahmen und Kopieren natürlicher Prozesse, das Verständnis der Komplexität von Ökosystemen und den Aufbau symbiotischer Beziehungen mit der uns umgebenden Natur. Harmonie als Schlüsselbegriff.

Das Kefiran-Riff als Metapher

Kefirdrink wird aus (Roh-)Milch und Kefirknollen hergestellt. Kefirknollen oder Kefirkörner sind kleine Körner, die aus natürlichen Substanzen gebildet werden. Es sind Milchproteine und Zucker, die die Matrix der Körner bilden, Kefiran genannt. Kefiran ist ein biologisch abbaubarer Biofilm, ein Biopolymer, auf, in oder zwischen dem sich eine Reihe von Bakterien und Hefen ansiedeln können. Lactobacillus kefiranofaciens ist der Haupterbauer des Kefiran-Skeletts. Kefiran ist ein Beispiel für das neue Symbiozän, weil aus einem komplexen, abbaubaren Naturprodukt neue Materialien hergestellt werden, darunter Verpackungsmaterialien oder neue Medikamente (Radhouani et al., 2018).

Die Kefirkörner bilden zusammen eine Art Korallenriff. Die Koralle ist vielleicht eines der einfallsreichsten Ökosysteme, das sich wie Kefirkörner durch das Vorhandensein von Arten auszeichnet, die ihr eigenes Skelett aufbauen. Bei den Steinkorallen übernehmen dies die kalksezernierenden Polypen. Sie lassen das Riff wachsen. Es entsteht ein Innen und ein Außen, in und auf dem allerlei andere Organismen überleben können und eine komplexe Lebensgemeinschaft vorhanden ist. Das Riff der Kefirkörner ist der Kefiran. Bakterien und Hefen wachsen auf der Innen- und Außenseite des Kefiran-Riffs.

Ein Kefir ist nicht der andere

Wenn Sie Kefirkörner aus verschiedenen Ländern und Regionen innerhalb der Länder vergleichen, gibt es manchmal große Unterschiede. Der eine ist gelber, eher blumenkohlartig in der Struktur, der andere flacher, elastischer und zäher. Warum das so ist, lässt sich erahnen. Von Region zu Region und wahrscheinlich sogar von Haushalt zu Haushalt wird Kefir etwas anders hergestellt. Das kann an der verwendeten Milch (Kuh, Ziege, Schaf, …), Erhitzung der Milch vorab oder nicht, der Bebrütungtemperatur, dem Impfrhythmus, ob die Körner gespült und gesiebt werden, und auch dem Hygienestandard der Körner liegen Kefir-Hersteller(-in).

Es scheint jedoch, dass das Bakterium, das das Kefirriff aufbaut, immer dasselbe ist und von Kefirkorn zu Kefirkorn dominant vorhanden ist: Lactobacillus kefiranofaciens. Insgesamt kommen in Kefirkörnern bis zu 50 Bakterienarten vor. Auf der Außenseite der Kefirkörner befinden sich große Mengen von Lactococcus-Bakterien, zum Beispiel L. lactis. In Milch entwickeln sie sich schnell und zuerst und leiten den Prozess der Milchsäurebildung ein. Wenn sich die L. lactis vermehren, breiten sich diese Bakterien dann ungehindert in der Milch aus und sind nicht mehr an die Kefirkörner gebunden. Wichtig ist jedoch, dass die 50 Kefirbakterienarten einer begrenzten Anzahl funktioneller Gruppen angehören und somit als Arten funktionell austauschbar sind. Die Bakterien in Kefirkörnern fallen in drei Hauptgruppen: (1) die Skelettbildner, (2) die echten Milchsäurebildner und (3) die Teilzeit-Milchsäurebildner, zusätzlich Geschmacksbilder. Die Gruppe der Milchsäurebildner ist daher sehr heterogen in Bezug auf Form (Stäbchen, Ballon, Haufen), ob Sporen gebildet werden oder nicht und wie sie leben.

Funktionsweise milchsäurebildender Bakterien in Kefir

Milchsäurebildende Bakterien wandeln Milchzucker in zwei Schritten in Milchsäure um: Laktose (12C) wird durch das Enzym Laktase (auch Beta-Galaktosidase genannt) in Glucose (6C) und Galaktose (6C) gespalten. Die beiden 6C-Zucker werden in Milchsäure (3C) gespalten. Ein Molekül Laktose (12C) produziert deswegen 4 Moleküle Milchsäure (3C).

Verschiedene Hefen verwenden Milchsäure (3C) als Nahrungsquelle, um Ethanol / Alkohol (2C) herzustellen. Aus 2 Milchsäuremolekülen (3C) entstehen 3 Ethanolmoleküle (2C). Daneben gibt es acetatbildende Bakterien, die Essigsäurebildner. Auch Essigsäure besteht aus 2C-Verbindungen. Als weiteres Abbauprodukt entsteht Kohlendioxid (CO2), ein charakteristisches Merkmal der anaeroben Vergärung (Tabelle 1).

Tabelle 1. Funktionen von Bakterien in Kefirknollen: biologische und physiologische Eigenschaften (abgeleitet von Fan et al., 2022)

NahmeFunctionWie?Menge
Lactobacillus   
Lb. kefiranofaciensSkelettbildner von KefiranKefiran stammt aus Milchzucker und Milcheiweiß>90%
Lb. kefiri  Einige %%
LactococcusMesophyle Milchsäurebildner, homofermentativSchnelle Umwandlung von Lactose in Milchsäure 
L. lactis   
L. cremoris   
LeuconostocMesophyle Milchsäurebildner, heterofermentativNeben Milchsäure auch Kohlendioxid, Ethanol und flüchtige Fettsäuren 
EnterococcusMesophyle Milchsäurebildner  
E. faecalis   
StreptococcusThermophyle Milchsäurebildner  
S. thermopilus   

Wang et al. (2020 und 2021) untersuchten den Unterschied zwischen Kefirkörnern aus drei Kontinenten. Lactobacillus kefiranofaciens verbindet die Körner (ca. 90 % aller Bakterien). Die lokalen Unterschiede und weitere Unterschiede zwischen den Kefirkörnern liegen in den letzten 10%. Bakterienarten, die in einem Kefir eine Funktion erfüllen, können mit anderen Arten in Kefir anderer Herkunft Plätze tauschen.

Bei den Hefen treten drei dominante Gattungen auf: Saccharomyces, Kazachstania und Kluyveromyces. Sie machen etwa 90 % der Hefepopulation aus, jedoch in unterschiedlichen Anteilen und Artendominanzen. Für Kefirkörner werden bis zu 25 verschiedene Typen Hefen beschrieben. Sie fallen in zwei funktionelle Gruppen: (1) diejenigen, die Laktose verdauen können, und (2) diejenigen, die dies nicht können und sich von Milchsäure (Laktat) ernähren (Fan et al., 2022). Wenn Kefirkörner zu Milch hinzugefügt werden, beginnt ein Fermentationsprozess. Bakterien und Hefen spielen sich gegenseitig den Ball zu und so kommt es zu einer Symbiose. Bakterielle Milchsäurebildner bilden Milchsäure und senken dadurch den pH-Wert des Produktes. Durch das Verschwinden ihrer Nahrungsquelle (Milchzucker) und die zunehmende Versauerung verzögert sich das Wachstum der milchsäurebildenden Bakterien. Hefen wie Saccharomyces cerevisiae verwenden Milchsäure als Nahrungsquelle, bauen sie ab und machen das Produkt weniger sauer. Dadurch ermöglicht diese Hefe milchsäuregärenden Bakterien ein weiteres Wachstum, was sich in einer weiteren Reduzierung des Milchzuckers bemerkbar macht.

Fazit

Wir können von Kefir und Kefirkörnern lernen, wie sie in Symbiose leben und überleben. Bakterien und Hefe bilden zusammen einen Verbund, der über die Zeit relativ stabil ist. Die Basis des Kefirs bildet ein Biofilm, das Kefiran-Skelett. Auf und in ihm wachsen einige wichtige funktionelle Gruppen von Bakterien und Pilzen, die von Kefir zu Kefir und von Ort zu Ort mit Arten ergänzt werden, die zwar lokal bedeutsam sind, aber anscheinend doch ganz ähnliche Funktionen erfüllen wie Kefir von einem anderen Kontinent oder Ort.

Literatur

  • Albrecht G. (2022) Earth emotions. New words for a new world
  • Fan, D., Stoyanova, L. G., & Netrusov, A. I. (2022). Microbiome and Metabiotic Properties of Kefir Grains and Kefirs Based on Them. Microbiology, 91(4), 339-355.
  • Radhouani, H., Gonçalves, C., Maia, F. R., Oliveira, J. M., & Reis, R. L. (2018). Kefiran biopolymer: Evaluation of its physicochemical and biological properties. Journal of Bioactive and Compatible Polymers, 33(5), 461-478.
  • Wang, H., Wang, C., & Guo, M. (2020). Autogenic successions of bacteria and fungi in kefir grains from different origins when sub-cultured in goat milk. Food Research International, 138, 109784.
  • Wang, H., Sun, X., Song, X., & Guo, M. (2021). Effects of kefir grains from different origins on proteolysis and volatile profile of goat milk kefir. Food Chemistry, 339, 128099.

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